Herrn Niemands Stimme

Der Stimme des Herrn ist jedem bekannt, es ist ganz einfach die Stimme Gottes, die Stimme von G, o und zweimal t. Das waren noch Zeiten, als man sie direkt gehört hat. Manchmal hörte man sie im Traum, manchmal irgendwo von oben her oder so wie bei Moses aus dem brennenden Dornbusch. Eigenartig woher man sie so genau erkennen konnte, denn man hatte den Herrn ja vorher nicht gesehen und auch nicht direkt gehört. Es waren mythisch, mystische, magische Zeiten, in denen man nicht so genau nach der Herkunft und der wissenschaftlichen Genauigkeit fragte. Die innere Gewissheit, dass es die richtige Stimme ist, war sehr groß, und das musste manchmal auch mit einem Martyrium bezahlt werden, denn die anderen hielten diese Gewissheit für dämonisch. Die Menschen hatten noch nicht so ein Ego wie wir, sie waren einfach das Objekt dramatisch erlebter und erzählter Mythen, die für den Hausgebrauch des täglichen Miteinanders zwar weitgehend ausreichend waren, aber nicht definitiv gültig, nicht bewiesenermaßen verifiziert.

Was das menschliche Ich vom ebenso menschlichen Subjekt unterscheidet, darüber mussten sich diese Menschen früher nicht ganz im Klaren sein. Der Herr kommt eben gerade daher, dass das menschliche Ich noch klein und unbedeutend war, das Subjekt aber auch nicht so global und rational durchdrungen wie bei uns heute.

Heute wissen wir also, woher der Herr gekommen ist und warum man seine Stimme kaum noch hört. Schon vor Beginn der großen Hochkulturen in Mesopotamien z. B. gab es eine ausufernde Ahnenverehrung. Manchmal war es ein Urahn, der Besonderes geleistet hatte, oft aber auch nur bestimmte Verwandte, deren Stimme man hörte auch wenn diese schon lange gestorben waren. Oft handelte es sich auch um tierköpfige Menschengestalten, die in Visionen auftraten und dann wie die Tiere im Märchen auch sprechen konnten, somit also ein Stimme hatten und daher übernatürlich wirkten. Das menschliche Subjekt stützte sich also auf das Gesamt der Stimme einer größenmäßig fassbaren menschlich-tierischen Gemeinschaft von Individuen im Jetzt und Früher, im Dieseits und Jenseits, im Dort und Da. Doch worauf stützt das Subjekt sich heute?

Für uns heutige Neurowissenschaftler z. B. ist es freilich auch nicht ganz so einfach zu klären, was damals an diesen Stimmen nur akustische Halluzination, was lautgewordene Gedanken und was vielleicht etwas mehr war als nur das, gelungener Mythos etwa, der sich fast mit wissenschaftlichen Erkenntnissen messen kann. Nach einer Phase wilder Ahnenverehrungen und polytheistischer Götterstimmen haben die Menschen sich schließlich zu der Stimme eines einheitlichen und wahren Gottes bekannt, ein langer geistig-kultureller und psychologisch reifender Prozess. Aber es ist eigentlich ganz egal, wie man sich dies alles jetzt ganz genau erklären mag, wer dieser nunmehr einstimmige Gott ist oder nicht. Für meine Betrachtung hier ist nur wichtig, dass diese Stimme immer einen personalen Aspekt hatte. Niemals war sie niemands Stimme , immer war sie die von jemand ganz Bestimmten, also eines wenigstens mit minimalen Persönlichkeitsmerkmalen ausgestatteten Wesens. Doch schon lange also spricht diese Stimme nicht mehr in den Köpfen der diese Offenbarungen erfahrenden Menschen. Sie spricht nur noch durch die Stimmen ihrer irdischen Stellvertreter. Und ob das ausreicht ist die Frage. Wo ist die Stimme des Herrn geblieben?

Dass man diese Stimme nicht mehr so hört, liegt also daran, dass sich unser geistig-kulturelles und psychologisches Verständnis durch die sich seit mehr als fünfhundert Jahren entwickelnde Wisssenschaft und die zunehmende Globalisierung völlig verändert hat. Manche Wissenschaften haben eine Existenz dieses vom Jenseits / Diesseits, von Jetzt / Früher und Dort / Da her sprechenden Wesens ganz negiert, andere haben sich weitgehend davon unberührt entwickelt und kümmern sich nicht um diese Herrenstimme oder was immer sie auch war und sein mag, leugnen sie aber auch nicht. Doch die seit hundert Jahren aufkeimende und sich weiter entwickelnde Psychoanalyse hat diese Stimme wieder in ihr altes Recht eingesetzt. Das Unbewusste, das in dieser Wissenschaft eine so wesentliche Rolle spielt, ist nämlich nicht nur ein Faktum, eine Tatsache, ein psychisches Objekt oder irgend ein Etwas, das sozusagen eine Ontologie hat, sondern es ist ein Etwas, das Spricht. Ich schreibe dies groß und kursiv, denn das Unbewusste Spricht nicht druckreif, rein verbal oder grammatikalisch-syntaktisch perfekt. Es Spricht nämlich meist nur in Symptomen, Versprechern, Träumen oder anderen Äußerungen sehr fraglich verbal-sprachlicher Art. Bei manchen kranken Personen Spricht es auch mit vielen und noch dazu oft - wie diese Kranken sagen - entstellten Stimmen. Dann verhält es sich also geradezu umgekehrt wie bei der Stimme des Herrn, die anscheinend immer eindeutig zugeordnet werden konnte, obwohl es auch hier Ausnahmen gab. Im Mittelalter zumindest war man sich nämlich oft nicht mehr so sicher, ob diese Stimme von Gott oder vom Teufel kam, wie etwa das Beispiel der Heiligen Theresa von Avila belegt. Sie musste grauenvolle Qualen durchmachen um sicher gehen zu können, was von Ihm kam oder von seinem Gegenspieler.

Wenn Menschen heute also Stimmen hören, dann hören sie meist viele und letztlich niemands Stimmen. Ausnahme sind ausgeprägt Wahnkranke, die sich von der Stimme einer oft nahen Person verfolgt fühlen. Wie schon erwähnt bewegte dieses Problem häufig auch die Menschen früherer Jahrhunderte, weil die Stimme des Herrn ja oft auch als die eines nahen Wesens erlebt oder verwechselt wurde. Doch hatte man lange Zeit in der Theologie eine Waffe, die Richtigkeit oder Falschheit einer Stimme zu klären. Als das mit der Theologie nicht mehr so hundertprozentig klappte, rückte eben das Phänomen von niemands Stimme in den Vordergrund. Und gerade mit diesem Problem von niemands Stimme beschäftigt sich jetzt in mehr konstruktiver Weise die Psychoanalyse. Das Unbewusste Spricht also und zwar fast ständig, aber weder der Psychoanalytiker noch der Patient verstehen seine Sprache ausreichend, da Es (das Freudsche Es) ja wie gesagt mehr in Symptomen oder Fehlleistungen Spricht. Der Psychoanalytiker muss hunderte von Stunden seinem Patienten zuhören und all das, was dieser mit seiner Stimme von sich gibt einer richtigen Deutung zuordnen. Er muss - um es ganz vereinfacht zu sagen - den Anspruch, den der Patient in seinem frei assoziierten Sprechen von sich gibt, auf den Trieb, auf die unbewussten Strebungen, das wahre und eigentliche innere Begehren, zurückführen, um diese Stimme des Unbewussten wirklich voll zum Sprechen und Hören zu bringen. Ist dies erfasst, haben sich also Stimme des Patienten und des Analytikers verbunden, kann man sagen, dass man Es nunmehr mit einheitlicher und klarer Stimme benennen kann. Es ist jetzt tatsächlich nicht mehr ganz nur die Stimme von Niemand, die Stimme des unpersonalen Unbewussten, die sächliche Stimme, sondern eine, zu deren Herrn man sich machen kann, wenn eben alles richtig gedeutet und als Erkenntnis ins Subjekt integriert ist. Man ist wieder da angekommen, wo man einmal war, aber auf wissenschaftliche und nicht mehr mythische Weise. Als Herr Niemand kann nunmehr jeder mit der einer Personalität weitgehendst beraubten Stimme sein jedoch ganz authentisches und volles Wort machen.

Diese Stimme des Herrn Niemand steht also zwischen der des Herrn als solchem und der Stimme von niemanden und nichts. Der Herr als solcher, G, o und doppelt t wie ich ihn schon buchstabierte, hatte immer auch etwas vom absoluten Herrn an sich, der der Tod ist. Es gibt keinen Gott, der nicht irgendwie auf den Tod anspielt, sei es im Mene Tekel oder durch die Behauptung von Himmel und Hölle, wobei ersterer den Tod nicht kennt, letztere ihn ewig dauern lässt. Aber die Stimme des Herrn Niemand scheint ein idealer Ausweg zu sein. Man ist definitiv Herr und doch nicht festgelegt auf etwas ganz Bestimmtes. Der vollkommen psychoanalysierte Mensch befindet sich in einer derartigen freien und selbstbewussten Herrenposition. Nur leider ist niemand vollkommen psychoanalysiert. Schon Freud sprach von der unendlichen Analyse, also einer, die man gar nicht beenden kann, so sehr man es auch wollte. Wo die Stimme des Herrn zu stark autorisiert war, ist die des Herrn Niemand doch noch ein bisschen belastet mit der des Nichts.

Ein wirklicher Ausweg bietet sich in dem Weg, den ich unter dem Namen Analytische Psychokatharsis veröffentlicht habe. Dazu habe ich nochmals die Stimme des Herrn, von der ich ausgegangen bin, genauer untersucht. Fangen wir bei der psychischen Entwicklung an. Die Stimme von Vater und Mutter dringen schon von Anfang des kindlichen Lebens an tief in die Bildung der kindlichen Seele ein und auch wenn das Kind erst sehr viel später verbal sprechen lernt, so formt es doch schon in sich diese primäre symbolische Ordnung aus, das Spricht, das also noch stark auch vom Bildhaften her bestimmte symbolische System. Bildhaft: ich könnte genau so gut sagen: musikalisch. Das Bild vermittelt wie die Musik das wesentliche Spricht, das ich hier in die Nähe einer Stimme des Herrn gerückt habe, in einer eher indirekten Form. Wie Lacan in seinem 10. Seminar (L´Angoisse) sagt, wurde die Stimme des Herrn in der Religion - er bezieht sich hier speziell auf die jüdische - durch ein mehr dumpf-dröhnendes Lautinstrument wiedergegeben: den Shofar. In anderen Religionen gibt es etwas sehr Vergleichbares: z. B. das tibetische Dungchen-Horn. Und tatsächlich, wer derartige Musikinstrumente hört, fühlt sich an Urlaute erinnert, als die Stimme auf dem Sinai, an das Grollen vom Olymp herunter. Den sonoren Laut, den Stimmklang nennt Lacan daher auch ein psychisches Objekt völlig analog zu dem, was Freud z. B. vom Oralem als dem Lippenobjekt, dem lustvoll zugespitzen Mund, dem plaisire de la bouche behauptet: es ist wie abgetrennt vom Trieb, von der libidinösen Strebung, in dem diese sich in der Kindheit an das Objekt fixiert hat (beim Stillvorgang an die Brust der Mutter) und sich darin verwickelt hat auch noch in späteren Lebensjahren.

Indem die Stimme des Herrn also zusammengezogen, wie abgetrennt vom Stimmgebenden selbst, dumpf-dröhnend-emotional-bewegend, verinnerlicht wird, nimmt sie die Form eines ebenso starken psychischen Objektes an, das einem Halt und Sicherheit geben kann. Doch kann sie nicht auch angstmachend sein? Ja, doch, da sind wir wieder bei der Ungenauigkeit des Mythos und dem Mangel an authentischen wissenschaftlichen Erfahrungen. Wir brauchen etwas, das uns aus einer gesicherten Distanz und doch voll authentisch die Stimme hören und nutzen lässt. Zu dem Spricht muss ein zweites abtrennbares psychisches Objekt kommen, das mit der Wahrnehmung und dem Blick zu tun hat, und das zusammen mit dem ersten Stabilität geben kann. Ich habe es ein Strahlt genannt und werde gleich darauf zurückkommen. Spricht und Strahlt zusammen stellen nämlich das dar, was Lacan den „linguistischen Kristall" nannte, das Unbewusste in einer formal klar umrissenen Form (linguistisch steht für das Spricht, kristallin für das Strahlt). Für diesen Artikel würde ich es auch die „Stimme des Hyperraumes" oder das „ideale Objekt" nennen. Warum „ideales Objekt"?

In der klassischen Psychoanalyse gibt es eigentlich kein „ideales Objekt". Die Mutterbrust, das Lippen- Saugobjekt sind vielleicht gerade nochmal für die Kindheit ideal, später reduziert sich sein Gehalt auf einen Kuss oder ein amis gueule. Genauso verhält es sich mit dem Wahrnehmen eines Lautes im Kopfinneren, wie es vielleicht das Kind wie erwähnt im Mutterleib noch erfahren hat oder eines Shofarlautes: all das ist kein „ideales Objekt" (es könnte zum Tinnitus führen, zum lästigen Ohrenrauschen). Etwas anderes ist es, wenn es durch wissenschaftliche begründete Zusammenhänge die Stimme des Spricht vermittelt. Ich musste dazu sogenannte Formel-Worte entwickeln, bei denen mehrere Bedeutungen in einer Formulierung stecken und das Spricht mit dem Strahlt in besonders idealer Kombination zu finden ist. Hier ein von mir oft verwendetes Beispiel:

E-N-S-C-I-S-N-O-M, schreibt man es im Kreis, so ist für jemand, der die lateinische Sprache kennt, sehr schnell zu sehen, dass von den verschiedenen Buchstaben aus gelesen ganz verschiedene Bedeutungen heraus kommen. So heißt MENS CIS NO, der Gedanke innerhalb von No, NOMEN SCIS, du kennst den Namen, OMEN SCIS N, du kennst das Omen N, CIS NO MENS, diesseits schwimme ich, der Geist, ENS CIS NOM, das Ding diesseits von Nom (abgekürzt Name), C IS NOMEN S, hundertmal, dieser Name S.

Diese zum Teil recht unsinnigen Bedeutungen sind dennoch Sprache, wie in einem Kristall (kreisförmig) verpackte Sprache. Gerade weil man sich nicht entscheiden kann und soll, wie die Formulierung wirklich zu leben ist, wird sie - wiederholt man sie gedanklich in sich - irgendwann das Unbewusste anregen mit seiner Stimme eine Antwort heraus zu geben (Ant-Wort im exakten Sinne von Ent-Sprechung). Ich kürze den Artikel jetzt hier ab, weil ich in zahlreichen Büchern all dies viel genauer beschrieben habe. Nur noch ein paar kurze Bemerkungen.

Um den „linguistischen Kristall" wirklich zum „idealen Objekt" zu führen, habe ich der Stimme als psychischem Objekt auch noch den Blick als ebensolchem psychischem Objekt hinzugefügt. Statt einem Spricht rede ich hier vom Strahlt. Tatsächlich war der Blick des Herrn ja ein Strahlt, ein nicht auszuhaltenden strahlendes Antlitz. Ebenso wäre niemandes Blich eine Art von diffusem Strahlt. Indem ich nun das Strahlt mit dem Spricht und dem Formel-Wort verbinde, erhalte ich ein festes, kompaktes Instrument, mittels dessen das Unbewusste unter weitgehender Umgehung der Freudschen psychischen Objekte (Orales, Anales) eine ganz klare und kompakte Ant-Wort wird heraus geben müssen. Jetzt kann die Stimme des Unbewussten nicht einfach mehr wie die halluzinierten Stimmen der Kranken einfach nur die pöbelnde, verwirrende Stimme von Niemand sein. Jetzt muss es eine konkrete, klare durch die Kristallstruktur eingeengte und doch nicht durch irgendeinen Mythos personifizierte Stimme sein. Und tatsächlich hat diese Ant-Wort, Ent-Sprechung einen derartigen Charakter, den Lacan auch den „inneren Satz" eines jeden Menschen nennt. Hier ein Beispiel:

Jemand, der die Übungen der Analytischen Psychokatharsis schon seit einiger Zeit anwandte, hatte plötzlich den kaum wahrnehmbaren aber doch noch gerade eben fassbaren Gedanken: „Schwupp hundert Jahre alt sehen", ein Spruch, fast so seltsam wie das Formel-Wort.

Aber dem übenden Adepten der Analytischen Psychokatharsis war dieser Spruch sofort klar. Herr „Schwupp" war er selber, weil er alles schnell und hastig erledigte, und er wollte diesen Herrn eben einmal als hundertjährigen sehen, wenn er abgeklärt und ruhig ist und nicht mehr alles so schwupp-di-wupp erledigen muss. Dazu muss man bedenken, denn so ein Hinweis aus dem eigenen Inneren und meist mit einer so nüchternen, unpersonalen Stimme, die dem Betreffenden trotzdem noch als eigener Gedanke erscheint, ein viel stärkeren Eindruck hinterlässt, las wenn jemand anderer zu ihm gesagt hätte: sei doch nicht immer so hastig, mach´s doch in Ruhe. Dass es die Stimme des Unbewussten ist, die Stimme des Geistes, des eigenen psychoneurologischen Zentrums, von mir aus auch eine göttliche Stimme, wirkt natürlich ganz anders, als ein üblicher wohlgemeinter Ratschlag. Mit der entsprechenden Deutung - die ihm eben sofort klar war - und der Tatsache, dass er diese Deutung auch akzeptieren konnte, wurde er selbst zum Herrn dieser Stimme und damit einen Schritt weiter in der psychischen Bewusstwerdung und Reifung.

Bei einem anderen Schüler der Analytischen Psychokatharsis führten die Übungen zu einem ganz kurzem Spruch: „angetan". Auch hier eine besondere Wirkung, die aus der Vielschichtigkeit dieses Wortes heraus lautete. Nicht nur, dass ihm etwas angetan worden ist, es ist auch etwas angetan im Sinne von „begonnen zu tun" so wie bei den Wörtern „angefangen", angegangen", „angegriffen" etc. Der Betreffende hört meist aus der Stimme nicht nur den Inhalt sondern auch die spezielle Bedeutung heraus, die auf ihn zutrifft und ihm eine Hilfe für sein Leben ist. Jetzt kann er es selber weiter tun, denn es ist ja schon angetan, er muss es nur noch fertig machen (es ging um eine größere berufliche Umstellung).

Warum sind diese Sprüche, diese „inneren Sätze" knapp, kompakt und zutreffend wie eine Ant-Wort, ja ein Ant-, Ent-Wort selbst, eine präzise Entsprechung? Hier kann ich auf die Konzeption des Unbewussten bei Lacan zurückgreifen. Im Unbewussten sind die Dinge wie gesagt nicht ontisch, faktisch vorhanden, sondern es Spricht dort so - vereinfacht gesagt - wie es Strahlt (und umgekehrt). Lacan sagt, es geht alles durch die „Engführung des Signifikanten" (défilés du signifiant), es dort kein reines Sein, sondern alles muss durch die Knotenstrukturen des „linguistischen Kristalls" hindurch, durch schon vorgeformte Sprachgebilde, Anspielungen, Andeutungen hindurch. Dadurch bekommt es leicht eine Aussage und kann als solche von der betreffenden Person abgewehrt, verworfen, verdrängt, abgespalten werden und sich dann nur noch im Symptom oder in der Fehlleistung ausdrücken. Durch die Anwendung der Analytischen Psychokatharsis wird das Unbewusste gezwungen den „Engführungen des Signifikanten" real Ausdruck zu geben, alles wird sozusagen nochmals durch ein „défilé" hindurch in Richtung auf Stimme, ja auf Name hin geführt. Mit der Stimme - nicht gerade des Herrn, aber doch in diese Richtung gehenden Stimme, kommt der knappe „innere Satz" auch heraus. Im Namen - nicht gerade des Herrn, aber doch in etwa - wird etwas stimm-sprachlich ausgestoßen, so dass das menschliche Subjekt es wahrnehmen kann. Es muss ihm vielleicht noch eine kleine Deutung beigeben. Schon Freud sprach von Schlüsselsätzen sogar im Traum, deren Bedeutung schon so vorgereift klar ist, dass man sie fast nicht mehr deuten muss.

Hier wird sichtbar, dass die Analytische Psychokatharsis sich eng an die Psychoanalyse anlehnt, ja ihr entnommen ist, aber in ihr doch noch mehr mit der eigenen Stimme gesprochen wird, während in der Psychoanalyse Patient und Analytiker sehr langwierig ihre Äußerungen aufeinander abstimmen müssen. Hier handelt es sich wirklich um die Stimme des Unbewussten direkt, wissenschaftlich klar und präzise, ohne einen Gott bemühen zu müssen oder nur niemandes Worte zu hören. Ja, ohne das Dazwischentreten irgendeiner anderen Meinung, Ratschlags, fertiger Philosophie oder akademischer Psychologie. Die Stimme dieser Kurzsätze ist authentisch und auch signifikant, zutreffend auf den jeweilig Übenden, weil hindurchgegangen durch die „Engführungen des Signifikanten" (um dies noch mehr zu erläutern weise ich darauf hin, was Lacan mit den „ersten maßgeblichen Bildern" bei der Entstehung des kindlichen Seelenlebens betont: sie, diese Bilder, wie die durch die Mutter vermittelnden Eindrücke, der Klang ihrer Stimme, aber auch späterer umgebender Stimmen, bis hin zu den Eindrücken der Natur oder so maßgeblichen Bildern wie der Gestirne, formen die ersten Signifikanten, Engführer hin auf wirkliche Sprache. Diese aber oft noch zu bildhaft verbliebene Sprache verbleibt unruhig im Unbewussten, und das ist der Sinn, sie ins Bewusstsein zu heben durch manifestierten Sprachbezug, Spruch aus dem Unbewussten selbst heraus).

Abschließend kann ich mich auch auf den amerikanischen Psychoanalytiker Th. H. Odgen beziehen, der von der Stimme des „analytischen Dritten" schreibt (Eine Frage der Stimme, in Gespräche in Zwischenreich des Träumens, psychosozial verlag 2001). „In einem gewissen Sinne ist der Oberklang der Stimmen des Analytikers und des Analysanden der Klang der Stimme des analytisch Dritten, der ‚ihren Stimmen aufgepfropft wird'. Der analytische Dritte wird vom Analytiker und Analysanden im Kontext ihres jeweiligen Persönlichkeitssystems, . . ihrer persönlichen Wahrnehmung und dergleichen mehr erlebt. . . Man kann auch sagen, dass die Stimmen beider einen Oberklang haben, der von analytischen Dritten herrührt." Lacan nennt diesen „analytischen Dritten" auch das eigentliche Subjekt, d. h. die versammelten Stimmen des Kollektivs, das „universale Gemurmel", in dem wir leben (jetzige / frühere, dortige / hiesige etc.). Eben: Herrn Niemands Stimme, die wir selbst äußern können.