Dekonstruktion und Auferstehung

W. Benjamin war ein Schriftsteller und Philosoph, der sich nicht an die großen Themen, sondern an das Unscheinbare, Unwesentliche und Versteckte halten wollte, um daraus ein Werk zu schaffen. Dies hat er vor allem in seinem unvollendeten Buch des „Passagenwerkes“ versucht, in dem er aus den kleinen Gegenständen undCollagen, Spielzeugfiguren und Nebensächlichkeiten in den Pariser Passagen eine Aussage für die Wirklichkeit und Wahrheit des damaligen Lebens machen wollte.

Philosophischer und akribischer hat J. Derrida ein solches Vorgehen in seinem Dekonstruktivismus praktiziert. „Was ich Dekonstruktion nenne,“ sagte er, „. . [sie] ist keine Methode und auch keine wissenschaftliche Kritik. . . Wenn die Dekonstruktion [also]die Geschichte der Metaphysik oder die des Methodenbegriffs befragt, dann kann sie nicht einfach selbst eine Methode darstellen. . . . Die Dekonstruktion setzt die Umwandlung selbst des Begriffes des Textes und der Schrift voraus . . .“ Kurz: Es wird alles bis in den letzten Buchstaben hinein abgebaut,  dekonstruiert, bis nur noch so etwas übrig bleibt, dass man gerade noch stammeln, stottern oder aufs Papier kritzeln kann. Doch dann, wenn aus dem Gekritzel doch noch etwas herauszulesen ist, kommt eine umso interessantere Lesart dessen heraus, was eigentlich zu sagen war.

Dieser Methode bedient sich auch die Psychoanalyse, wenn der Analytiker aus den daher gehaspelten „freien Assoziationen“ oder aus den wirren Träumen des Patienten die Wahrheit von dessen Krankheitssymptom dechiffrieren soll. Und wenn ich hier einen Text schreibe, so müsste ich nunmehr innehalten und selbst die Worte zu kontrakarieren, so zu kontrapunktieren anfangen, dass man sie fast nicht mehr Worte nennen könnte. Ich müsste etwa so schreiben, wie J. Joyce es in Finnagans Wake getan hat: “Riverrun, past Eve and Adam's, from swerve of shore to bend of bay, brings us by a commodiusvicus of recirculation back to Howth Castle and Environs . . .”oder E. Pound in folgendem Gedicht: „Und ob Antonius dahin gelangte, dies ward verdeckt Kuan, verdeckt Ad posteros urbem donat, Artemis gemünzt All goods light against coin-skil If there be 400 muontains for coppe Flußgold stammt aus Ko Lu;Preis von XREIA her . . .“ Sowohl Joyce wie Pound haben gesagt, dass man ihre Texte weniger vom Inhalt her lesen muss, sondern vom Klang, vom Sound, von der Musik her. Aber sagt der Text dann den Lesern wenigstens  annährend etwas Gleiches?

Der französische Psychoanalytiker J. Lacan hat sich hier in ähnlicher Weise gewisser Wortspiele bedient wie etwa des „Les non Dupes errent“ (die Nicht-Blöden) irren zu dem es nämlich noch das im Französischen gleichklingende „Les noms du pere“ (die Namen des Vaters) und „Les non du pere“ (die Nein des Vaters ). Lacan erreicht damit die gleiche Verwirrung wie die oben genannten Dichter, und doch haben die drei verschiedenen - wenn auch gleichklingenden – Sätze wissenschaftliche, in der Psychoanalyse geltende Bedeutungen (das ödipale Nein gegenüber dem Sohn, der Irrtum der Weltklugen und die Namen des Vaters als Begriff für die symbolische Ordnung). Hier geht es also nicht mehr nur um den Sound, sondern sehr wohl auch um den Inhalt - wenn auch versteckt.

Aber ich müsste natürlich jetzt wissenschaftlich und genauso kontrapunktisch schreiben, denn ich bin ja kein Dichter sondern Arzt und Psychoanalytiker, der sich des Dekonstruktivistischen evtl. in der Lacan´schen Art bedienen will. Auch ich will alles zerschlagen, um es dann wie Phönix aus der Asche wieder auferstehen zu lassen, doch es soll Sound und Inhalt gleichzeitig darin vorkommen.  Ich will mich ebenso eines „linguistischen Kristalls“ bedienen (ein Ausdruck Lacans für diese sich kristallin überschneidenden Wort- und Klangbedeutungen), der scheinbar verwirrend ist und doch eine Neuschöpfung ermöglicht. Übrigens ist dies meiner Ansicht nach auch der Sinn der Auferstehung in der christlichen Religion. Es soll alles in einem völlig neuen Gewand wiederkommen, aber so neu, dass es gar kein Gewand der herkömmlcihen Art mehr ist. Es sollte wirklich Transsubstantiation sein, wie der theologische Begriff dafür heißt. Aber in der Transsubstantiation ist Sound und Inhalt total vermischt. Es handelt sich einfach um den Leib Christi und sein Blut. Was immer das an Klang und Aussage beinhalten mag, der Wert liegt mehr in dem, was moderne Computer-Fiktion eine gebeamte Materialisierung nennen oder was an einen Klonvorgang erinnert. Etwas Mythisch-Magisches.

Ich habe daher ENS – CIS – NOM erfunden. E-N-S-C-I-S-N-O-M, schreibt man es im Kreis, so ist für jemand, der die lateinische Sprache kennt, sehr schnell zu sehen, dass von verschiedenen Buchstaben aus gelesen ganz verschiedene Bedeutungen heraus kommen. Somit handelt es sich um das Gleiche wie bei Lacans Les non Dupes errent. Es stecken drei oder mehr Bedeutungen darinnen, und um mit ihnen etwas anfangen zu können, muss man Sound und Inhalt komprimieren. Alles muss durch das hindurch, was bei Lacan die défilés logiques  oder défilés du signifiant nennt, also die logischen Engführunge, Engpässe des Signifikanten. Diese défilés logiques sind kleine Maschinen, Umwandlungswerkzeuge, Transsubstantiatiionen auf der wirklich erfassbaren und wissenschaftlich darstellbaren Ebene.

So heißt MENS CIS NO, der Gedanke innerhalb von No,NOMEN SCIS, du kennst den Namen, OMEN SCIS N, du kennst das Omen N,CISNOMENS,diesseits schwimme ich, der Geist, ENS CIS NOM, das Ding diesseits von Nom, C IS NOMEN S, hundert, dieser Name S. Es mag manches recht unsinnig klingen, aber das ist ja gerade das Wesen dieses von seinen Bedeutungen her kontrapunktischen Kristalls. Wichtig ist ja nur, dass ENS – CIS – NOM, das ich auch ein Formel-Wort nenne, exakt so dekonstruktivistisch aufgebaut ist, dann aber doch eine Neuorientierung ermöglicht. Wenn man nämlich dieses Formel-Wort mental, also in Gedanken langsam und monoton wiederholt, wird der „linguistische Kristall“ (das Unbewusste) angeregt seine hinter bzw. jenseits der Dekonstruktion stehende Bedeutung freizugeben, also genau jene Auferstehung ermöglichen, die die Dichter mit ihren Poetismen und Wortklangbildern oder Lacan mit seinem Wortspiel versucht haben.

Die Dekonstruktion ist etwas Reales, das sich Text-Schrift-Wortklang-Verkleidet in der Wirklichkeit abspielt. Es geht hier nicht um Literatur, sondern um Wissenschaft, Wissenschaft vom Realen natürlich, vom Wirklichen. Gäbe es nämlich die Dekonstruktion nicht, würde man dem Wirklichen nicht gerecht. Man würde sich dann nur in den Bereichen bewusster Sprache, von Schrift und Text bewegen als etwas mehr oder weniger Erfundenem.  Dass Derrida glauben konnte rein als Philosoph die Dekonstruktion zu bewerkstelligen, ist allerdings erstaunlich. Denn man benötigt natürlich den Zugang zum Unbewussten, zum Realen hinter dem Text und den Wörtern. Um wirklich zu dekonstruieren muss man auch sich selbst dekonstruieren, zumindest Teile des Ichs (Idealbildungen des Ichs, Teile des Überichs unbd des Es-Ichs).

Dies gelingt eben nur, wenn man die Dekonstruktion in Form eines auch innerlichen Rückzugs auf eben solche Formel-Worte, kontrapunktische Formulierungen vornimmt, d. h. also sich mit dem absoluten Nichts konfrontiert. Erst von dorther kann dann die Auferstehung wieder beginnen, also ein Gedanke kommen, der über alles hinausgeht, die eigentliche Transubstantiation, die Sound (Katharsis) und Inhalt (Analytik) gleichermaßen überträgt. Dieses Verfahren der Analytischen Psychokatharsis bezeichne ich eben auch als ENS - CIS - NOM, als etwas, dass gerade durch diese Schreibung alles sagt und klingen lässt, was notwendig ist. Man muss es nur noch selber einüben.