Jesus und die Frauen II

Was Jesus suchte - will man es in einer psychologischen Form ausdrücken -  war die weibliche Sprache, nicht die der Macher-Männer und auch nicht die der radikalen Feministinnen. Es geht um die Sprache, die die Situation umdeutet hin zur wirklichen Liebe, die kraft ihrer Potenz wirkt, indem sie das Sexuelle in Schwebe lässt: „wem wenig vergeben wird“, wer von vornherein nur Impotenz-Gefühle hatte, so dass man ihm auch nichts vergeben muss, „der liebt auch wenig“! ist die innere Logik der 'Jesus-Therapie'. Derartige theologische Deutungen sind dazu da - und dahingehend soll auch mein Therapieverfahren (Analytische Psychokatharsis) führen: aus einer neuen Sicht, aus der Sicht der Praxis des Strahlt und  Spricht (der Formel-Worte und Pass-Worte, siehe Genaueres in entsprechenden Artikeln dieser Webseite) also evtl. auch neue und vor allem auch eigene Theorie, Liebes-Theorie, Theologie zu machen.

Praktisch alle Theologen einschließlich Drewermann bieten hier, und das Gleiche gilt auch für die Auferstehungsszene mit Maria Magdalena, nur theoretische Lösungen an. Während die Theologen bezüglich der Auferstehung sagen, dass das „funktionale Jesuskerygma” sich durch die Auferstehung in ein “personales Christuskerygma umgewandelt habe (der historische Jesus hat hier  einen zeitlosen Christus für alle wieder direkt zugänglich gemacht) und damit die Spekulationen, ob die Auferstehung nun real oder anders zu sehen ist, umgehen, meint Drewermann, man müsse diese Bilder tiefenpsychologisch und theologisch „einfühlbar“ und sie in ihrer Gültigkeit zur Deutung menschlicher Existenz evident  machen.[1] Trotzdem: Mag Drewermann uns die Bilder noch so einfühlend schildern, sie bleiben Bilder und werden nicht Sprache, die uns direkt etwas sagt, bzw. mit der wir selber sagen lernen. Er gibt uns keine Pass-Worte.

Um das Wesen dieser für das Verfahren der Analytischen Psychokatharsis so wichtigen Wahrheitsgewinnung zu beschreiben, schildere ich nochmals ein letztes Beispiel der 'Jesust-Therapie'. Es geht um die Geschichte der  Samariterin am Brunnen, die Jesus um Wasser bittet. Auch sie ist wieder eine dieser etwas anrüchigen Dämchen. Viele Männer hat sie schon gehabt, und der, mit dem sie gerade zusammenlebt, ist nicht der ihre![2] Wieder stehen sie Auge in Auge am Brunnen. Eine Frau, ein Mann. Der Mann will etwas von ihr, er will zu trinken haben, aber sie kennt das! Immer schieben sie erst etwas anderes vor, und dann wollen sie doch nur das eine! Er durchbricht sogar die Schranken des Anstands, redet als Jude mit einer Samariterin! Schließlich faselt er etwas vom „lebendigen Wasser“, worauf sie nur noch höhnisch und argwöhnisch kontern kann: „Du hast doch nicht einmal ein Schöpfgefäß und der Brunnen ist tief! Beweis doch, wie du Wasser lebendig machen kannst!“ Jetzt ist es höchste Zeit für Jesus das Formel-Wort zu bringen. Das Es Strahlt / Es Spricht ist erreicht, der vorbereitende Dialog hat die Basis geschaffen. Die Atmosphäre ist locker/gespannt bis milde aufregend. Aufregend, nicht erregend, das ist die Erotik der Frau! Jetzt will sie`s wissen, also Phallus, jetzt zeig, dass du nicht Symbol einer Lust, einer Macht, der Formel Begehren/Genießen bist, sondern Symbol der aufregenden Liebes-Wahrheit sein kannst! Dreh den Spieß um!

Und Jesus sagt: Wo ist dein Mann? Ach, du lebst in wilder Ehe?! Da gibt es anscheinend einen Durst bei dir, der immer wieder gestillt werden muss, und dann gibt es da auch noch ein Stillen, ein endgültiges Stillen, ein wirkliches Gestilltsein. Das wahre, auf das es ankommt. Jesus verfährt mit dem Wort ‚Stillen‘ wieder in seinen verschiedenen Bedeutungen, Platzierungen und erreicht schon dadurch die halbe Übertragungs-Deutung. Denn jetzt sind sie beide Figuren, die gestillt werden wollen, aber vorerst braucht Jesus das Wasser gar nicht. Er kann jetzt von dem Begehren reden, um das es bei der Frau, der Samariterin geht.

Musst du dir, um dein Verlangen nach einem universalen Mann, nach – so könnte man doch sagen - einem Gott von Mann, zu stillen,  nicht immer wieder einen neuen suchen? Viele hast du schon gehabt, und jetzt wieder lebst du in wilder Ehe! Den universalen Mann, diesen göttlichen Typen, den Alle-Einen hast du doch in dir selbst, lies doch mal nach in den Schriften, dass man „in Geist und in Wahrheit“ und nicht als physisches Wesen den Anderen suchen muss! Den Anderen in sich! Du betrügst dich doch selbst, du betrügst dich und den Mann, mit dem du lebst immer wieder mit einem universalen Anderen, den es nicht gibt, jedenfalls nicht ausschließlich außerhalb von dir! Gib doch diese typisch weiblichen Phantasien nach dem Mann als Ganzem, nach diesem Super-Herrn, nach diesem Top-Guru auf. Dieser All-Eine ist in dir, sprich mit ihm! Hol dir doch dieses letzte Gestilltsein!

Diese Worte kamen aus dem Bauch heraus, potent, Jesus hat gehalten, was der Phallus versprochen hat (während sonst der Phallus nie hält, was er verspricht). Und natürlich hat er Recht! Der echte Freudianer Jesus hat ihr klar den Penis-Neid analysiert! Selbstverständlich ist der Begriff Penis-Neid unglücklich gewählt, für die Etablierung der Psychoanalyse war aber eine derartige Sprache anfangs notwendig. In Wirklichkeit ist exakt jener typisch weibliche Neid auf etwas gemeint, das beim Mann durch eine männliche Begehrensstruktur entsteht: eine gewisse Dynamik, die die Spaltung zwischen dem Begehren, die Welt zu erobern und dem rein phallischen Begehren ins Gleichgewicht bringen muss. Es ist ein Neid auf den transzendentalen, den symbolischen Phallus, den die Frau gar nicht haben müsste, denn am Kastrationskomplex leiden doch beide Geschlechter gleichermaßen! Das ist eine Tatsache, die, erkennt man sie nicht, immer in der Fron des Tragischen erneuert werden muss.

Die Frau geht ins Dorf zurück und holt alle Leute. Sie hat verstanden, dass es unsinnig ist, immer wieder nach einem Gott von Mann zu suchen. D E N, diesen universalen ER, diesen Dynamik-Mann gibt es gar nicht. Das Power-Bild gehört einfach zum Männlichen, es geht aber letztlich um einen unbewussten Konflikt, der geradezu tragisch enden muss. Denn die Menschen klammern sich immer ans Gesetz, an die Gesetzmäßigkeiten, von deren tödlicher Routine und Starrheit sie sich nur immer wieder durch das Tragische, durch eine Tragödie befreien können. Es sei denn, sie fangen bei sich selbst an, die wahren Gründe zu suchen. Das Gesetz, in dem die Samariterin eingesperrt ist, ist nicht nur das ihrer hysterischen Neurose und der Minderwertigkeit der Samariter gegenüber den Juden. Es ist auch das Gesetz, dass der Brunnen, an den sie mit Jesus spricht, der Jakobs ist, des Urvaters und seiner starren Verehrung. Eine Frau könnte diese Gesetzmäßigkeit aufbrechen, indem sie diese urmännliche Patristik in Frage stellt. Und das tut sie ja auch, nur nicht in der richtigen Weise.

Denn auch hier kann Jesus wieder mit einem Formel-Wort, dem des Wassers, des Urliquiden, des Sprudelnden und gleichzeitig altehrwürdigen (aus Jakobs Zeiten stammend) arbeiten. Zwar hat Jesus nicht Lacan gelesen, aber er weiß, dass die weibliche Libido, das Frausein ganz stark von dem „fließenden Rhythmus“ bewegt wird, dem Fluss der Gezeiten ihrer Fruchtbarkeit und der Schwangerschaften, der Menstruation und der Galaktorrhoe, der Gefühle, der Haut und der sanften Gesten. Der  Nicht-Nur-Mann Jesus, der Therapeut-und-Mann, der universale Schlicht-und-einfach-nur-Mensch, hat  ihr den „fließenden Rhythmus“ wiedergegeben, das lebendige Wasser, die weibliche Potenz und hat den Glauben und das wichtige Gefühl für die Dinge in ihr wieder erweckt. Er hat das Wasser des Jakobsbrunnen, das erquickende Trinkwasser in der Tiefe und das des „fließenden Rhythmus“ im Signifikanten einer universalen Quellsubstanz zusammen- und aufgehen lassen. Dieser scheinbare All-Eine, dessen Worte wie Wasser lebendig aus ihm heraussprudelten, hat sie damit belebt.  

Die Frauen haben grundsätzlich nicht solche Probleme mit der Erektion, bei ihnen ist ständig etwas da, das hochsteigt und sich nach außen ergießt. Oft leiden sie an zu vielen Gefühlen. Sie sind dem „frühen seelischen Erleben“ stets nahe, dem „Oralen“ z. B., das Ausschütten und wieder Einsaugen bedeutet, dem Atem der Natur, dem „fließenden Rhythmus“, der Strömung, Quellung des All / Ein. Dem Strahlt / Spricht in seiner mütterlich-weiblichen Primärform. Nur, sie verstehen nicht, es gänzlich in eine gute übergeordnete Theorie zu bringen, in ein gutes Übungsverfahren umzuformulieren, in dem das  Spricht / Strahlt mit einem Formel-Wort kombiniert ist und alle Gefühle regelt. Deswegen brauchen sie jemand, fallen aber dann gerade auf die Männer herein, die mit ihrer Potenz Probleme haben und so tun, als wüssten sie alles. So gibt es Bücher, in denen z. B. diese Geschichte mit der Samariterin rein im Symbolismus theoretisiert wird[3] (Brunnen: weiblich, Frau: Trieb, Jesus: Geist etc.) oder feministische Literatur, in der die Samariterin Jesus beibringt, was weiblicher Eros ist: [4] der arme Kleine, der hat wohl  noch keine Frau gehabt, im Namen von Frau Mulack würde die Samariterin es ihm schon zeigen, was das hieße, wirklich Frau! Da würden ihm die Ohren klingen, Ihm, der nicht einmal ein Schöpfgefäß hat, so ein rundes, schönes, aufnahmefähiges Ding, wie wir Frauen es alle haben!

Diesbezüglich könnte man sich noch eher an die tiefe und extreme Religiosität S. Weils halten, von der ich schon gesprochen habe. Für sie hat sich Jesus selbst der Göttlichkeit entäußert[5] - nicht wir müssen dies tun. Wir dagegen, sagt sie, „sind dem unterworfen, was nicht existiert“.[6] Dem NICHTS. Der Unmöglichkeit von Wissenschaft/Glauben. Damit liegt sie genau auf der Linie. Die ich verfolge. Aber durch diese Unmöglichkeit muss man hindurch. Doch wie? Sie gibt uns keine Anleitung, keine Praxis. Ihre großartigen Erkenntnisse und gelungen paradoxen Formulierungen, opfert sie schließlich, wo sie doch Jüdin ist, sozusagen am Ursprung des Glaubens, einer simplen katholischen Konfessionalität. Einem billigen katholischen Katechismus. Schade, sie hätte eine überregionale, überkonfessionelle  Konfession gründen können. Eine neue Theologie. Die Samariter haben es jedenfalls durch die Frau aus ihrer Mitte gelernt, alle konnten sie das Formel-Wort übernehmen.



[1] Drewermann, E., Die Botschaft der Frauen, DTV (1997) S. 221

[2] Johannes 4

[3] Kurch, E., Klartext, Tebbert (1995)

[4] Mulack, C., Die Weiblichkeit Gottes, Kreuz (1992) S. 288-293

[5] Weil, S., Cahiers II, Paris (1972) S. 118

[6] Weil, S., Cahiers I , Paris (1972) S. 188