Die Psychosemiotik Lacans

Die unten nebenstehende Abbildung zeigt einen Borromäischen Knoten und ist eines der von Lacan hauptsächlich verwendeten Schemata zur Erklärung der menschlichen Seele. Es ist sichtbar, wie  die drei Schlingen der in Kapitel 1.1 erwähnten Dreiheit vom Imaginären, Symbolischen und Realen zusammen hängen, aber auch, dass beim Zerschneiden von einem auch die anderen frei sind. Wird im Seelenleben also eine Schleife zu wenig beachtet, ist es fatal für die Gesamtheit.

Der ‚Körper‘ wird seelisch – sozusagen von innen her – als Körperbild wahrgenommen, also vorwiegend imaginär, virtuell, bildhaft. Das  ‚Leben‘ als solches hält sich im unverbrüchlichen ‚Realen‘ auf, während ausgerechnet das Symbolische, das Worthafte, Bezug zum ‚Tod‘ hat, denn wie von Hegel zitiert, ist es der Mord an der Sache, an der elementaren Natur.

In den sich überschneidenden, überlappenden Bereichen findet sich JΦ, was die durch das ‚Phallische‘ vereinnahmte ‘jouissance’  bedeutet, während JȺ die ‘jouissance’ des Anderen ist, dessen Andersheit aber begrenzt ist (deswegen der Querstrich). Während ich zu besseren Unterscheidung bei JΦ vom ‚plaisir phallic‘ sprechen würde, geht es geht bei der ‘jouissance’ des Körpers per se um das, was die Psychoanalytikerin R. Golan auch als die ‚jouissance feminine‘, als das weibliche Genießen, bezeichnet. Das widerspricht nicht der Äußerung, dass die Frau Φ verkörpert, denn sie verkörpert es speziell für den Mann, während gleichzeitig gilt, dass sie das ihr eigene, ureigentliche Genießen JȺ zu gering schätzt.  Zwischen dem Imaginären und dem Symbolischen findet sich der ‚Sinn‘, der auch abwegig und haltlos sein kann, denn er hat wenig Bezug zum ‚Realen‘. In der Mitte thront ‚a‘, das ‚Objekt‘ des Begehrens mitsamt der ‚Mehrlust‘, das an allen Schlingen teilhat. Weitere Details werden im Folgenden deutlich werden.

Denn im Grunde braucht es nicht mehr, um das Wesentliche der Psychosemiotik und Psychoanalyse Lacans zu verstehen, und um damit kreativ, therapeutisch und auch als ‚Mensch in der Revolte‘ in eigener Identität arbeiten zu können. Die heutige Jugend wird mit dem Begriff einer ‚Revolte des Selbst‘ vielleicht zuerst einmal nichts so recht anfangen können. Die ‚Revolte des Selbst‘ ist für jemand, der zu sehr damit beschäftigt ist, nach außen zu gehen und Videos, Smartphones, Facebook-Kontakte und Zig andere elektronische Bereiche zu bedienen, ein dröhnendes Zeichen, ein pauschales Relikt, ein zu heftiger Signifikant, mit dem man sich nicht mehr so leicht identifizieren kann.

Doch den Weg nach innen zu gehen, bevor man ihn nach außen geht, wäre das Vorderste und Wichtigste. Die psychologischen Wissenschaften allein sind kein Ausweg, auch der Borromäische Knoten ist ein Schema, um sich vorwiegend in der Theorie zurecht zu finden, aber er ist in der Dynamik seiner Verschleifungen auch direkt das ‚Selbst‘ als solches. Ich will dennoch die Bemerkungen, die ich zur Psychoanalyse gemacht habe, erneut knapp zusammenzufassen und verständlicher machen. Denn wenn dann das eigentliche Verfahren, das ich anbiete, um aus dem Verstehen des Selbst eine Revolte zu machen, einleuchtender wird, kann es vielleicht doch viele Einzelne erreichen und dazu bewegen, zuerst beim eigenen Selbst zu beginnen und nicht woanders.

„Der Status des Selbst ist äußerst prekär,“ schreibt der Psychosemiotiker K. Leferink, „er schwankt in einer extremen Weise zwischen emphatischer Bejahung (Selbstverwirklichung, man-selbst-sein, Selbst als innere Wahrheit der Person) und kritischer Distanzierung ("Furchtbares hat sich die Menschheit antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war" (Adorno und Horkheimer, 1969). Mal erscheint das Selbst als der Schatten, über den man nicht springen und die Haut, aus der man nicht heraus kann, mal als Illusion, als innerlicher Stützpunkt des allgemeinen Verblendungszusammenhangs oder als Teil des Maya, an dem festzuhalten mit Leiden verbunden ist (buddhistische Auffassung).“ [1] Die Seele ist ein Leerraum, der alles Selbstbezogene nur an sich zieht ohne wirklich Selbst zu sein.

Der genannten Leerraum kann die Lust an den einfachen Begehrens-Objekten ‚a‘ (die unter der Domäne des von mir eingangs erwähnten Φ stehen) genauso füllen wie das Spricht des Anderen und der ‘jouissance’ in Ψ. Die Revolte umfasst beide, insofern sie jedoch darüber hinausgehen will muss sie eine umfassende und einheitliche Sprache der Lieb-ido schaffen, in der Lieb-(e) und (cup)-ido vereint sind. Diese Sprache beginnt mit dem Strahlt, das Kohut den „Glanz im Mutterauge“ nennt. Eine grundlegende Spiegelung, ein gegenseitiger Narzissmus fasziniert von vornherein die liebende ‚Primärbeziehung‘, und „lernen wir uns im Spiegel der Augen unserer Mutter zu erkennen,“ schreibt A. Gruen.[2] Doch der zum inneren Selbst-Objekt gewordene Glanz-Blick wird nur zum imaginär-konsistenten Teil unseres Selbst. Erst wenn das Kind ‚Ma-Ma‘ sagen wird, also echorhetorisch das Symbolische ins Spiel bringt, ändert sich das Szenarium. Jetzt hat ‚a‘ einen Namen, jetzt wird das Kind nicht mehr sagen, dass es etwas will, ohne zu wissen, was es ist. Jetzt ist es ‚Ma-Ma‘, die gleichzeitig mit dem verinnerlichten Glanz-Blick besetzte Brust wird zum symbolischen Objekt, zum ‚Oralen‘  

Ich wiederhole mich ständig, aber für das Verständnis meines Verfahrens sind diese theoretischen Grundlagen notwendig, denn sie sorgen für die Sicherheit der Methode. In der sehr einfach zu handhabenden Praxis gibt es Momente, in denen man an die Ur-Verdrängung rütteln und sich dem Ex-Sistierenden aussetzen muss. Man muss daher verstanden haben, dass sich alles in der Psychoanalyse nur in subjektbezogenen Begriffen, in Beziehungs-Relationen und Symbolismen ausdrücken lässt. So sind die psychischen ‚Objekte‘ als Zustände des Subjekts zu begreifen, Fähigkeiten, Fixierungen. Sie sind keine realen Gegebenheiten. Die unten-neben stehende Abbildung muss man sichnun als dreidimensional vorstellen, die dicken Linien befinden sich flach am Boden, darüber erhebt sich ein Dreieck mit durchgehender dünner Linie. Man kann zuerst einmal von dem Dreieck ausgehen, das durch P (Vater), M (Mutter) und dem Kind (K) dargestellt ist. Dies ist eine noch relativ reale Konstellation, wenn sie auch bereits ein bisschen symbolisiert ist, da sie ja mit Worten bzw. Buchstaben beschrieben ist. Signifikant und symbolisch bedeutsam wird sie, wenn auch noch S einbezogen ist und die familiäre Grundfigur nunmehr mit wesenhaften Signifikanten ausgestattet ist.  

Unter Einbeziehung des S auf der linken Seite oben ist das Ganze jetzt in Begriffen des Subjekts und des Signifikanten ausgedrückt. S steht also für das Subjekt als solches, für den ganz subjektbezogenen Signifikanten, nur dass dieser vorerst eben leer ist, reiner Stützpunkt, Leer-Raum, die Null, die das Zählen im Dreieck P-M-K erst ermöglicht. S vermittelt also Subjektbezogenheit und Signifikanz, S gehört zur Grundstruktur von M, P und K, bleibt aber vorerst unsichtbar, weil nun nicht weiter besprochen und geklärt ist, was mit den Statisten MPK eigentlich los ist. S wirkt so als  wesentlicher, aber stiller Bezugspunkt. Es erinnert an das Spricht eines Toten[3] und an das Kristalline des formlosen Strahlt, was Lacan ja in dem Ausdruck „linguistischer Kristall“ für das Unbewusste zusammengefasst hat. Kurz gesagt: es geht schließlich um die Familien-Metapher, die familiäre Geschichte M-K-S-P, die für jeden anders ausfallen kann, aber die familiäre Grund- und Beziehungs-Struktur formal klar bezeichnet.

Diese subjektbezogene Signifikanz wird überlagert von dem bereits beschriebenen Φ, der sexuellen Metapher, die Mächtigkeit verleiht, die nicht Macht ist, sondern intime Stärke, ‚lieb-idinöse‘ Fähigkeit eben, mit der man rechnen muss oder kann. Dort liegt auch ein revoltisch-psycho-semiotischer Punkt, weil es um etwas geht, das nämlich die Bedeutung eines Mangel-Signifikanten, also eines Mangels an reifem Genießen, an reifer ‚jouissance‘. Ich will vorwiegend ein Buch für Laien schreiben, die mit solchen termini technici nicht so leicht klarkommen und erinnere nochmals an Φ als der sexuellen oder libidinösen Metapher, an die psychosemiotische Grundstruktur des libidinös-unbewusst Psychischen, an die phallische Genussstruktur schlechthin, die eben nicht alles ist, was man vom Genießen sagen kann.

Φ ist ein Mangel-Signifikant, etwas, das Bezeichnend für das Begehren und gleichzeitig für den Genuss-Mangel ist. Das ist kein Widerspruch. Man kann sexuell begehren und eigentlich nicht genießen. Der oben zitierte Psychosemiotiker Leferink will an dieser Stelle statt von libidinöser Metapher vom Transzendenten reden.[4] Doch dies verwässert alles. Mit Begriffen wie transzendent, spirituell, übernatürlich und jenseitig wird übermäßig idealisierend auf wissenschaftlich nicht zu fassende Bereiche verwiesen. Hier ist der Sublimationsbegriff doch besser: die Triebkräfte, Φ, können verfeinert werden; aber dazu braucht es nicht den Apparat der Theologen oder Philosophen. Für Leferinks Transzendentes setze ich lieber Ψ, die Ganzheit der Psyche, das Selbst der ‘jouissance’, Freuds ‚desexualisierte‘ Libido, die ich also ‚Lieb-ido‘ heiße.

Ψ und Φ stellt auch die Geschichte von Psyche und Amor (Eros) dar, wie sie aus der Mythologie bekannt sind und die der italienische Maler Zucchi zwar manieristisch aber trefflich gemalt hat. Die Göttin Aphrodite (Venus) ist eifersüchtig auf die schöne Königstochter Psyche. Sie verleitet ihren Sohn Eros dazu, Psyche mit einem Ungeheuer zu verheiraten, doch dieser verliebt sich in sie und lässt sie zu sich kommen, allerdings nur nachts im Dunklen. Psyches Schwestern aber bedrängen sie, dass ihr Liebhaber eine Schlange sei und so erscheint Psyche eines nachts mit einer Öllampe und einem Kurzschwert bewaffnet vor Eros. In Zucchis  Bild ist Eros‘ Genitale von einer Blüte verdeckt, doch Psyches Blick dorthin scheint ganz klar zu sagen: ist da etwas? Für was ist es gut? Ψ, die mehr als weiblich und mit der Möglichkeit zur ‘jouissance’  ausgestattete Psyche, ist mehr am schönen Jüngling als solchem interessiert, während Φ sein Heil in aufdringlichen Abenteuern oder eben im Dunklen suchen muss oder – wie es im Mythos heißt – dorthin flüchtet. Erst nach langer Zeit finden die beiden wieder zusammen und heiraten: Ψ Φ, eine Lösung, die – als reine Formel (?!) –  auch die Lösung für die ‚Revolte des Selbst‘ sein könnte.

Wie erwähnt steht Ψ für die Kohärenz der Signifikanten (deren Summe die Welt ausmacht) in Form einer Kette, die nicht nur von Φ, sondern auch vom Tod unterbrochen werden kann. Würde Ψ in der ‚Revolte des Selbst‘ diese Lücken schließen können durch einen vollen, wissenschaftlich gesicherten und praktisch gefestigten Diskurs, wäre der letztliche Sieg gewiss. Somit kann ich argumentieren, dass die ‚Revolte des Selbst‘ der libidinösen Metapher aber auch dem Pessimismus des Todes antwortet und versucht, den eigentlichen Diskurs nicht zu unterbrechen.

Sie lässt sich nicht einfach nur libidinös provozieren, sie wälzt um, entfacht neu, rollt auf, erzählt, überdenkt – alles Übersetzungen des lateinischen Wortes ‚revolvere‘. Und auch den Tod bezieht sie so in ihr Leben ein, indem es die ‘jouissance’ nicht stört, wenn man sie (Ψ) gewähren lässt (ich zitierte eingangs den Satz Lacans, dass es „in der Liebe immer irgendeine Wonne des Todes gibt, eines Todes jedoch, den wir uns nicht selbst auferlegen können.“[5] Φ kann nur in ‚kastrierter‘ Form genossen werden, und so können beide Φ und Ψ sich die Waage halten, was genügt, um die Kontinuität des Diskurses zu wahren. Durch die Katharsis des von mir entwickelten Verfahrens wird nicht nur die Erfahrung des ‚ex-sistierenden‘ Genießens ermöglicht, es wird auch die Wahrnehmung der Pass-Worte begünstigt.[6]

Im ‚horizontalen Fallen‘[7] der ‘jouissance’, in dem ‚Durchrieseln‘ des Körperbildes legt man sich nämlich den Tod nicht selber auf. Ich erinnere diesbezüglich nochmals an R. Golans ‚jouissance feminine‘ als einer Identität, die mehr dem Weiblichen zugehört. Die weibliche Form des Genießens schließt auch Schmerz und Leid ein, „beinhaltet aber auch Universalität, Höhe, Grenzenlosigkeit, Erkenntnis / Erleuchtung, Wissen, Freiheit und Glückseligkeit“, wie sie schreibt.[8] Hier kommen wir also auch der Antwort auf die Frage, was das göttliche oder „spirituelle“ Genießen ist, näher. Es muss nicht unbedingt eine ‚Verschmelzung‘ sein. Vielmehr hat es auch etwas mit der Liebe des Vaters (P) zu tun. Er liebt die Geschöpfe alle im ‚Namen‘ dieser Beziehung, im ‚Namen‘ dieser Art von Adoption, die mehr bedeutet als die Zeugung und mit der er das Kind unter seine Verantwortung stellt. Genauso verhält es sich mit der Liebe der ‚Frau‘, indem sie Frau voll im Namen dessen ist, was es  eben heißt, wirklich eine solche zu sein. Die Subjekt- und Namensbezogenheiten stehen im Vordergrund. Nur mit ihnen kann die Wahrheit benannt werden.

So spricht der Psychoanalytiker von der ‚symbolischen Kastration‘, indem die libidinöse Mächtigkeit nicht alles beherrschend sein kann, sondern eben eine ‚kastrierte‘ Macht ist, die allein den Diskurs nicht fortführen kann. Das  heißt, dem Begehren wohnt mehr oder weniger eine Bedrohung inne, die nicht real ist, sondern subjektbezogen. Sie verhält sich aber oft zu machtvoll, wie es auch die Sexualität mit ihren infantilen Schattenseiten tut, wo sie ebenso provoziert, doch nicht revoltiert, wie Eribon dies gerne hätte, Camus überhaupt nicht dazu kommt und Eliphas es wie Leferink ins Transzendente projiziert, wo es jedoch auf die ‚feine Art‘, auf die klerikale Manier zum Verschwinden gebracht – kurz: abgetötet wird.

Im vorwiegend durch das Imaginäre gestaltetem Dreieck S-a-a‘ (Subjekt-Kind, das Ich und die Begehrensobjekte) können sich anfängliche Hin und Hers, Lüste und Frustrationen der ursprünglichen Mutter-Kind-Beziehung herstellen. Wenn man hier von etwas Sexuellen sprechen will, wie die Psychoanalyse dies tut, ist dies noch überhaupt nicht voll symbolisiert möglich, also definitiv in Worten ausdrückbar. Es sind multiple, begehrensbezogene Bilder, die sich über- und ineinander schichten, aggressiv, erotisch, alltäglich, unkoordiniert und nur beginnend, chaotisch symbolisiert, kurz: infantil sexuell. Hilfe kommt nun von P, vom Vater, der zuerst ja anfänglich für das Kind noch gar nicht als gesondertes Wesen in Erscheinung tritt. Er ist vorerst nur eine Hintergrund-Figur unter all den anderen Figuren, die um die Mutter herum existieren.

Aber irgendwie ist doch etwas vom Vatersein spürbar, gibt es ein Hintergrundwesen, das besondere, regulierende, überschauende Funktionen hat. Freud hatte diesbezüglich noch etwas rätselhaft vom „Vater der Vorzeit“ (Vater der Frühzeit des Kindes oder enigmatischer ‚Ur-Vater‘, symbolischer Vater?) gesprochen. Doch kann auch die Mutter im ‚Namen des Vaters‘ sprechen, denn wenn der eigentliche Diskurs, die Kette der Signifikanten, das Wesentliche ist, kann auch sie dafür sorgen, dass vom Vatersein etwas spürbar wird und die Namen richtig betont werden.

Die Sache wird klarer, wenn wir jetzt das in dünner Linie über den unteren Dreiecken sich erhebender Dreieck betrachten, das durch S, P und Φ als obere Ecke gezeichnet ist. Hat nicht eigentlich P die Trumpfkarte in der Hand?  Und ist die Linie bzw. das Dreieck P–Φ–S nicht die des von mir schon zitierten großen Anderen (L’Autre), des jedem innerlich eigenen Fremden, nun als A–Φ–S zu schreiben? Wenn Ψ in ihm voll eingeschlossen ist, der Diskurs also ohne Unterbrechung ist, wird die Revolte perfekt.

An dem Märchen von Hänsel und Gretel lässt sich alles anschaulich nacherzählen. Die Kinder dieses Märchens sind noch an die Mutter fixiert, ans Süße, ans Knabbern, ans orale ‚Objekt‘ a. Doch die Mutter besteht nicht nur aus diesem schmackhaften Teil, sie ist auch die im Knusperhäuschen versteckte hexenhaft Unbekannte. Sie will sich an das Φ heranmachen und sieht zu, ob es schon dick, reif und gut genug ist. Sie fühlt am Finger, am männlich sexuellen Symbol, ob Hänsel zugenommen hat, doch jetzt begreifen die Kinder das infantile Spiel und dass sie sich von der Mutter emanzipieren, abnabeln und die Imago der negativen Mutter auslöschen müssen. Sie müssen verstehen lernen, was ein Vater und eine Frau ist, Mann (genitales Φ) und Mutter (orales Φ) stehen in ihrer Wertigkeit dahinter.

So finden sie am Schluss zum Vater, zu P, der immer schon auf ihrer Seite gewesen war, zurück, und die Mutter steht nicht mehr in diesem Maße im Vordergrund; im Märchen ist sie schon verstorben. P vertritt in der analytischen Psychotherapie die Position des Psychoanalytikers, der den Patienten indirekt, nämlich anhand der Interpretation ihre Assoziationen, vermitteln kann, was es mit den  Süchten und erotischen Wünschen auf sich hat, will man authentisch und doch auch autonom und gesichert leben können. Nun ist die Linie von S zu P und umgekehrt, die in der Abbildung besonders verstärkt und mit Ψ versehen eingezeichnet ist, zur wichtigen Beziehungslinie auf dem vorwiegend symbolischen Feld geworden. Während sich der Psychoanalytiker auf alle Punkte der Abbildung beziehen muss, ist in der durch die Analytische Psychokatharsis vermittelten Revolte des Selbst insbesondere diese Linie S-Ψ-P wichtig. 

Vorher war diese Linie durch die gestrichelten Linien des imaginär-realen Feldes gehemmt und gesperrt gewesen. Die Psychoanalyse benutzt also das männlich strukturierte Sexualsymbol, mit dessen Mächtigkeitscharakter, Stärke und Phallizität die Menschen anfänglich identifiziert sind, um die Erwachsenenverhältnisse zu klären und so die Triebe und deren ‚Objekte‘ reifere Wege gehen zu lassen. Doch so gut diese Theorien sind, in der Praxis gelingt es der Psychoanalyse meist nicht so spektakulär zum Ziel zu kommen. Man kann sich daher fragen, warum Freud die Psychoanalyse um den ‚toten Vater‘ (den erwähnten Mord am Vater) herum aufgebaut hat. Er hätte seine Thesen auch um die ‚reiche Frau‘ herum konzipieren können.

Die ‚reiche Frau‘ ist die, die – wie Lacan sagt – „alle wäre“, d. h. in allem und auch in Φ unkastriert reüssieren würde. Sie ist im Gegensatz zum ‚toten Vater‘ lebendig, es hat sie allerdings wohl noch nie jemand gesehen. Lacan konstatierte daher, dass „Gott die zu alle gemachte Frau ist“, also ein Universalgenie in der Liebe, die Königin der ‚Lieb-ido‘, die eben genauso wenig sichtbar ist wie der ‚spiritus purus‘, der göttliche Geist der Theologen. Doch eine Lebendigkeit besteht bei ihr, auch wenn sie nicht rein biologisch ist. Sie ist ‘jouissance’, jeder kann sie in sich lebendig machen, denn nur so lebt sie. Der bekannte Mythenforscher R. von Ranke Graves gestand einmal, dass für ihn die „weiße Göttin“ zum obersten Prinzip geworden ist. Es handelt sich wohl um das gleiche Wesen wie die ‚reiche Frau‘. Wie er allerdings mit ihr umgeht, bleibt rätselhaft. Sieht er sie manchmal? Phantasmatisch?

Denn um sie wirklich lebendig zu machen, bräuchte es eine ‚Revolte des Selbst‘ inmitten des unbewussten Anderen, in A, in der ‘jouissance’, die Spricht. A, der/das Andere, ist Hort der Sprachsignifikanten, der unbewusste Bezeichner, der innere namensgebende Vater, kurz: das, was dem Spricht nahesteht. Das menschliche Subjekt ist in diese beiden Ur’s  a‘ und A eingeklemmt und muss sehen, was es daraus machen kann und wie es seinen ‚Eigennamen‘ darin finden kann. In seinem Seminar über diesen Namen,[9] beschreibt Lacan, wie das menschliche Subjekt schwankend und oszillierend in seinen Identifizierungen „von der Funktion des ‚Eigennamens‘ erfasst wird,“ von einem „Bedeutungseffekt“. . . „Es ist um den Namen herum, und keineswegs diffus um ein beliebiges Straucheln der Wörter herum, es ist immer auf der Ebene des Namens, der im eigentlichen Sinne nominalen Evokation,“ was Lacan den „Namen des Vaters“ nennt, von dem er weiter sagt: „Da liegt das Geheimnis.“ In diesem Namen kommt auch das Weibliche (die Frau) genauso zum Zug, wenn auch nur als weltliche und nicht als „zu alle gemachte“ oder ‚reiche‘ Frau. Dazu muss man wohl über den üblichen väterlichen Diskurs hinausgehen und die Revolte lieben.

Φ wird trotz der Tatsache, dass es für beide Geschlechter gleichermaßen gelten soll, von Frauen und Männern völlig unterschiedlich gehandhabt. So verkörpert die Frau Φ, indem der Mann sie begehrt. Sie verkörpert dann buchstäblich diese ‚sexuelle Metapher‘, während diesbezüglich beim Mann eher ein Haben im Vordergrund steht. Er begehrt die Frau und bestätigt sie dadurch in ihrem Sein, doch indem sie diese Bestätigung aufgreift, will sie etwas ganz anders als er. Sie will – wie man in Bayern sagt – einen ‚gstandenen‘ Mann, eben einen, der seinen Mann im Arbeits- und Gesellschaft-Alltag und auch zu ihr ‚steht‘, und der also nicht dauernd nur Φ im Kopf hat, verfügt sie doch selbst darüber in dominierender Weise.

Lacan sagt, das der Φ  ein Sein in der Eigenschaft des weiblichen Genießens ist,[10] in der „jouissance“, die also einem ganz anderen Register entstammt, als was der Mann sich vorstellt. Er geht von seinem Haben aus, von dem er glaubt, dass er es häufig geben muss, oft sogar mehreren Frauen. Anstatt dass er geben würde, was er nicht hat,[11] macht er aus seinem Besitz eine Orgie. So wird Φ zu dem einander entgegengesetzten Hindernis, anstatt dass „es als das, was als Wahrheitsbedingung zu bestimmen wäre,“ funktioniert.1Mit anderen Worten: das Geschlechtsverhältnis lässt sich über das Wesen des ‚Phallischen‘ nicht definieren, es ist grundsätzlich verfehlt, weshalb die Psychoanalytiker hier vom ‚Kastrationskomplex‘ reden.

Wo der Mann nur ein phallisches Genießen sucht (in φ kleingeschrieben als dem ‚Objekt‘ seiner ‚Mehrlust‘), stellt die Frau sich gerne einen universalen Mann, einen Gott von Mann vor, oder zumindest einen, der partnerschaftlich, familiär, beruflich etc. seinen Mann steht. Das zeigen die Frauen jedoch nicht immer so genau. Die Frauen – meint Lacan daher – wecken diesbezüglich gerne den Anschein (semblant) und halten es mit der Maskerade, d. h., dass sie häufig wohl ein wenig trügerisch sind[12] wie es schon G. Verdi in seiner Oper Rigoletto mit der Arie ‚la donna è mobile‘ vertont hat. Ein Geschlechtsverhältnis, das sich wirklich definieren und schreiben ließe, gibt es – so Lacan – demnach nicht. Dennoch sind Mann und Frau nicht erfunden, sondern symbolisch, metaphorisch, signifikantenbezogen definiert.

Doch keiner von beiden kommt zum Ziel, beide, Mann und Frau wirken wie gespalten. Lacan meint sogar, dass der Sexualakt grundsätzlich eine Freud‘sche Fehlleistung sei, ein Danebengehen, ein Patzer. Der Mann würde – so Lacans Ausführungen zu diesem Thema – immer auf dem Höhepunkt seiner Angst, seines Nicht-mehr-weiter-Wissens ejakulieren. Die ‚sexuelle Metapher‘ wird nicht fundiert umgesetzt, nicht in ihrem eigentliche Sinne verwirklicht, und schon gar nicht lässt sich etwas Wahres, die Wahrheit über die sexuelle Beziehung sagen oder schreiben. Selbst in der psychoanalytischen Bearbeitung des Ödipusmythos finden sich nur theoretische Annahmen und in der modernen Sexualforschung hapert es total. Das Eigentliche kann nur in der therapeutischen Sitzung selbst erfahren werden, jedoch mit dem gleichen Ergebnis, nämlich dass die sexuelle Beziehung nicht definiert werden kann. Das wird auch mit der ‚Revolte des Selbst‘ nicht gelingen, dafür aber authentischer, origineller und praktisch-logischer bestätigt werden.

Und so kann ich jetzt das über das Symbolische, Imaginäre und Reale hinausgehende ‚Vierte‘, das auch als Borromäischer ‚Viererknoten‘ beschrieben wird und das die ‚Revolte des Selbst‘ ermöglicht (wenn auch hier nur in der konzeptionellen Fassung) weiteres sagen. Im Falle des Dichters J. Joyce, dessen psychotischen Hintergrund Lacan anspricht, was heißt, dass der Dreierkonten sich zu sehr gelockert um nicht zu sagen aufgelöst darstellt, findet Lacan ein rettendes ‚Viertes‘: seine virtuose, den modernen Zeitverhältnissen nahe und erotisch gewaltige Dichtung sowie sein Kampf um den Glauben, zeigen Joyce als ‚Sainthomme‘ (Heiliger), was gleichklingend ist wie Symptom (Kranker) und wie ‚Sinthom“ (Sünder). Selbst wenn also die drei Ringe des Knoten auseinandergedriftet sind, diese Dreiheit von Wesensbezeichnungen hält sie wieder als ‚Viertes‘ irgendwie zusammen (siehe oben nebenstehende Abb. des Viererknotens und der zusätzlichen Schlinge).

Dies gilt auch für jeden, der den Ödipuskomplex erfolgreich durchlaufen hat (bei gleichzeitig normalem Zusammenhalt des Dreierknotens). Das ‚Vierte‘ kann auch Gott sein, wenn man ihn nicht durch eine Konfession eingeengt, sondern  durch weitgehende Sublimation und tätige theologische Praxis aus dessen ‚Ex-Sistenz‘ heraus verwirklicht hat. Und es trifft auch für die Analytische Psychokatharsis und die ihr verbundene ‚Revolte des Selbst‘ zu. Dafür werde ich noch die logischen Beweise und die praktischen Beispiele geben. Es wird jedoch auch so schon ersichtlich, wie sehr das von mir inaugurierte Verfahren von der klassischen Psychoanalyse abweicht ohne deren Grundlagen zu verletzen. Lacan hat diesen Viererknoten erst in einem seiner letzten Seminare vorgestellt, nachdem er eben erkannt hat, dass ganz große Kunst oder ähnliche Zugangswege zum Unbewussten von der Psychoanalyse her gewürdigt werden müssen.

Wie ich in den zwei nächsten Kapiteln zeigen werde, beginnt die Analytische Psychokatharsis umgekehrt – oder wie schon besser gesagt: ‚anders herum‘ – wie die Psychoanalyse. Was das Strahlt als Imaginär-Reales angeht beginnt mein Verfahren mit der ‚Faszination eines Flecks‘. Zwar nennt Lacan einen ‚Fleck‘ dasjenige, was im Sehfeld, in der Schaulust den zu aggressiven, ‚gefräßigen‘ Blick verdeckt.[13] Doch kann man dies ganz anders sehen, wenn sich zum ‚Fleck‘ der ‚Laut‘, das ‚weiße Rauschen‘, das musikalische ‚Geräusch‘ gesellt, das primärste Spricht als Symbolisch-Reales und beides noch dazu eingerahmt und gehalten wird von den Formel-Worten als dem ‚Vierten‘.



[1] Leferink, K., - Psychosemiotik – ein Ansatz zur Kritik der Identität, e-journal Philosophie der Psychologie (01.03.2008)

[2]  Gruen, A., Der Verrat am Selbst, dtv (2016) S. 18

[3] Für Lacan war der Psychoanalytiker ein „sprechender Niemand“ oder einer, der „mit der Stimme eines Toten“ reden sollte. Auch sollte er ein  „leerer Spiegel“ sein, also einer, in dem noch niemand drin ist. Mit dieser Spiegelung und der Stimme einer Art von Jenseitigem, Transzendentem bringt er nichts von sich persönlich in das gemeinsame Gespräch ein. Er muss also im Gegensatz zu den Ethnopsychoanalytikern völlig abstinent, cool, neutral bleiben, spiegelnd, aber ohne Inhalt. Doch in der Realität gelingt dies meist nicht so gut wie es sich anhört.

[4] Leferink, K., - Psychosemiotik – ein Ansatz zur Kritik der Identität, e-journal Philosophie der Psychologie, 01.03.2008, S. 12

[5] Lacan, J., Die Übertragung, Seminar VIII, Sitzung vom 15.5.61. Damit ist gemeint, dass der Tod nicht unbedingt tödlich erfasst werden muss, auch wenn man nicht an ein Leben nach dem Tode glaubt. Doch es existiert ein Leben in jedem Sterben, das – um Mitscherlich zu paraphrasieren – glücklich macht.

[6] Die Katharsis war auch ein Ausgangspunkt der Freud’schen Hypnose, in der die Patienten viel mehr erinnerten als im späteren psychoanalytischen Vorgehen. Doch Freud wollte mehr Mündigkeit des Patienten und verließ die hypnotische Katharsis.

[7] Ein Ausdruck, den einer meiner Patienten einmal zum Besten gab und mit dem er seine meditativen Erfahrungen beschreiben wollte.

[8]  Golan, R. Loving Psychoanalysis, Karnak (2006)

 

[9] Lacan, J., Seminar XII, Vortrag vom 13. 1. 65

[10] Lacan, J., Seminar XVIII, 4. Sitzung vom 17. 2. 71

[11] Mit dieser Aussage will Lacan definieren, was die Liebe ist, die Liebe in ihrer mehr alltäglichen Form.

[12] Lacan, J., L’Étourdit. Scilicet, 4:5-51 (1973)

[13]  Lacan, J., Seminar XI, Walter (1978) S. 90 - 120