Du bist Gott, ich auch!

Ein Bekannter von mir sagt, dass er Gott sei. Nun ist er nicht einer von denen, die wild herum gestikulieren und schreien ‚ich bin Jesus‘ oder ‚Gott‘ und völlig unreflektiert bleiben. Nein, mein Bekannter, nennen wir ihn so wie Odysseus Herrn Niemand, hat diese Erkenntnis wohlweislich auf Grund klarer Einsichten gefunden und differenziert verarbeitet. Er ist mit dieser Auffasssung ja auch nicht allein, so hat z. B. Eckhart Tolle, der mit seinem Buch ‚Jetzt‘ große Erfolge hatte, das Gleiche gesagt und mit dem Argument einer generellen Spiritualität gewürdigt. Und grundsätzlich ist es ja nicht unlogisch so etwas zu sagen, wenn man Gott nie sieht, nie direkt etwas von ihm hört und die Grauen der Welt ständig erleben muss, und somit statt mit einer Theodizee mit einer Selbstbezogenheit zu reagieren. Gottes Job müssen wir selbst auf uns nehmen.

 

Lieber Herr Niemand,

wir haben lange nichts voneinander gehört, aber jetzt, nachdem ich das neue Buch von Y. N. Harai, HOMO DEUS gelesen habe, musste ich schwer an Sie denken.

Harari hat in diesem Buch einen äußerst umfassenden – wenn auch recht umschweifigen, 600 Seiten – Überblick über die Welt- und Menschheitsgeschichte einschließlich ihrer nahen Zukunft gegeben. Er geht davon aus, dass man alles Sein und Geschehen in Algorithmen von Datenströmen auffassen kann. Nun könnte man sagen, das ist nichts Neues. Die Mathematiker haben immer schon den Anspruch erhoben, dass Mensch und Welt nach ihren Regeln aufgebaut seien. Die Gesetze der Natur, der Biologie (DNA), der Neurowissenschaft und der digitalen Prozessortechniken lassen sich aber vielleicht mit Hararis Auffassung noch besser auf gemeinsame Nenner bringen. Während am Anfang der Erde und des noch primitiven Lebensbeginns ganz einfache algorithmische Datenströme wirkten, waren diese mit dem Auftreten von Tieren und Frühmenschen schon komplexer, wenn auch noch nicht so eng vernetzt.

Erst mit der Neuzeit erreichte die Vernetzung aber auch die Individuierung  eine extrem hohe Komplexität. Diese wird nun im 21. Jahrhundert noch weit übertroffen durch die ausufernde Bio-, und Computertechnologie bis hin zu einem „Internet der Dinge“, bei dem man schließlich nicht mehr weiß, wo noch der persönliche Mensch geblieben ist. Er ist vollkommen Teil des Systems bzw. des Dataismus geworden. Nun heißt dies nicht, dass er damit schlechter dran wäre oder gar unglücklich sein würde. Im Gegenteil, er würde gottgleich sein oder sich ganz stark auf dem Weg dazu befinden. Harari gibt allerdings auf den letzten Seiten zu, dass man diskutieren kann, ob wirklich algorithmische Datenströme die Ausgangs- und Weiterentwicklungsschritte sind, meint aber, dass irgendeine Art von Dataismus dennoch die Welt übernehmen wird.

Freilich sträuben sich in einem heutigen Menschen alle Datenfasern und –gefühle, denn es klingt alles sehr nach technischem Kunstprodukt, dem nichts mehr Menschliches anhaftet. Aber was heißt menschlich? Und ist Kunst schlecht? Als Modell kann man Hararis Vorstellungen einmal ganz gut durchspielen. Auch Freuds Unbewusstes und Lacans ‚linguistischer Kristall‘ ist so strukturiert fassbar, wenn eben auch nicht bewusst. Und dass der Mensch der Zukunft eben auch Homo Deus heißt, bedeutet doch, dass Sie all diesen heutigen Konzepten schon lange voraus waren und sind. Sie sind Gott doch schon heute, das Problem – das wir ja auch schon diskutiert haben – war ja nur, wie man damit umgeht und was daraus zu geschehen hat.

Vielleicht ist es hilfreich, dass ich diesen Brief im Internet veröffentliche, weil es einfacher ist, die These, dass man selbst Gott ist, schriftlich zu kommunizieren als in direkter Unterhaltung. Vielleicht gibt es gute Kommentare dazu.

Herzliche Grüße, Dr. v. Hummel

Ich hatte meinem Bekannten gegenüber einmal die Idee geäußert, man solle doch mit einen T-Shirt mit der Aufschrift 'Du bist Gott, ich auch' durch die Fußgängerzone einer großen Stadt gehen. Er fragte mich dann, ob ich mich das trauen würde, worauf ich entgegnete: für mich sei dies nicht so relevant, denn ich drücke mich ein bisschen anders aus. Ich sage gerne das, was der Rekligionsphilosoph R, Spaemann schrieb, nämlich 'Gott ist ein unsterbliches Gerücht' und hänge daran noch an 'an dem ich heftig teilnehme', und rede somit von mir selbst - allerdings als Sterblicher. Wenn schon Gott-Sein, dann muss man im Gerücht mit ihm eins sein und das heißt für mich, dass man doch Lacans "linguistischen Kristall" nutzen sollte, der einen 'Transsubstanziation' (so nennen das die Theologen), also einen Austausch auf der Signifikanten-Ebene, was die Praxis der Analytischen Psychokatharsis ermöglicht .